Q1 · 2016Ist es Business-relevant?Oder die ernst gemeinte Frage nach dem Befinden

Liebe Leser,

Zuerst wünsche ich Ihnen allen ein frohes, neues Jahr.

Das Jahr 2016 ist für mich ein Jubiläumsjahr! Vor exakt 20 Jahren (1996) erhielt ich mein erstes Mandat als Leistungspsychologe. Nach Erlangen des Doktortitels im Jahr 2001 – vor 15 Jahren – gründete ich meine Firma „Marcolli Executive Excellence AG“.

In dieser aktuellen Version des „Spotlight on Performance“ könnte ich Sie detailliert über das ausgesprochen erfolgreiche Geschäftsjahr 2015 informieren, in dem ich nebst dem Coaching von zahlreichen global tätigen Business-Teams, Spitzenkräften und Top Athleten auch das Buch „More Life, Please!“ publizierte. Dieses kam in die enge Auswahl des UK People’s Book Award. Weiter schrieb ich als Co-Autor am Buch von Olympia-Gold Gewinnerin Dominique Gisin „Making It Happen“ mit.

In diesem „Spotlight on Performance“ möchte ich jedoch auf etwas anderes eingehen, etwas viel Persönlicheres.

Im vergangenen Jahr ereignete sich bei einer meiner Klientinnen folgende aufrüttelnde Geschichte. Unterwegs auf Geschäftsreise und unter grossem Zeitdruck, um ein langjähriges Projekt abzuschliessen, erreichte sie die unerwartete Nachricht der Krebserkrankung ihres Ehemannes.

Zurück im Office, beschloss meine Klientin sich ihrem Chef mit ihrem aktuellen Problem anzuvertrauen. Sie fragte ihn direkt: „Hast du kurz Zeit? Ich würde gerne etwas mit dir besprechen.“ Entsprechend der durch den Abschluss des Projekts entstandenen Hektik war die Antwort ihres Vorgesetzten: „Ich bin gerade sehr beschäftigt, ist es Business-relevant?“ Meine Klientin zögerte kurz, überlegte und verneinte seine Frage.

Kurz darauf wechselte sie zuerst die Abteilung und dann gar das Unternehmen. Sie fühlte sich als Mensch nicht eingebunden. Ihr Vorgesetzter erfuhr nie von ihrer schweren Zeit. Um es kurz zu machen: für das Unternehmen ist ihr Abgang sehr schmerzlich, zählte sie seit Jahren zu einer der Leistungsträger und war ein Top-Talent. Ihr Verlust war und ist absolut Business-relevant.

Dass wäre mir nie passiert

Als Führungspersonen denken wir vermutlich: „Dass wäre mir nie passiert, ich hätte bestimmt anders, besser reagiert.“ Hierfür möchte ich einige Jahre zurückgehen, genaugenommen ziemlich an den Anfang meiner Karriere als Coach und Leistungspsychologe.

Im Jahr 1996, meine Karriere als Fussballprofi war nach mehreren Knieverletzungen frühzeitig beendet, studierte ich an der University of Ottawa in Kanada das Fach Sport- und Leistungspsychologie. Parallel dazu amtete ich als Psychologe des Ottawa Gee-Gees Damenfussballteams. In dieser Saison wurde das Team zum ersten Mal in der Geschichte der OttawaU Kanadischer Meister – ein grosser Erfolg, der durch das „Golden Goal“ in der Verlängerung zur Riesensensation wurde.

Vielmehr als an diesen Sieg erinnere ich mich jedoch an eine andere Gegebenheit aus dieser Zeit, fernab der Feierlichkeiten.

Zusätzlich zu meiner Arbeit als Teampsychologe betreute ich einzelne Schlüsselspielerinnen im 1:1 Coaching. Unter ihnen war Cassandra (Name geändert), eine hochtalentierte Fussballerin, die in jener Saison mit einer Verletzung zu kämpfen hatte. Gemeinsam stellten wir ein sportpsychologisches Programm zusammen, welches nachhaltige Fortschritte versprach. Nach ein paar wenigen Sitzungen erschien Cassandra jedoch unerwartet nicht mehr zu unseren Coachings, ohne mir mittzuteilen, weshalb. Ihr Wegbleiben nahm ich persönlich, denn ich begriff nicht, was falsch lief. Am Abend der Meisterfeier nahm ich Cassandra zur Seite und fragte sie, warum sie nicht mehr zu den Coachings erschienen sei. Ihre Antwort lautete: „Chris, Dein strukturiertes Programm war super, aber es schien als wäre Dir das Programm wichtiger als meine Gesundheit und mein emotionales Wohlbefinden – ist Dir aufgefallen, dass Du mich nie gefragt hast, wie es mir wirklich geht?“

„Ist Dir aufgefallen, dass Du mich nie gefragt hast, wie es mir wirklich geht?“

Cassandras Worte trafen mich wie ein Blitz. Augenblicklich verstand ich meinen Fehler. Damals war ich wirklich betroffen und wenn ich zurückschaue, schreibe ich Cassandra’s ehrlichem Feedback einen grossen Teil meiner Entwicklung und meines Erfolges als Performance-Coach zu. Dieser Moment hat meine Karriere nachhaltig beeinflusst, in dem er mich menschlicher und einfühlsamer werden liess.

Cassandras Feedback begleitet mich noch heute und es vergeht keine Coaching-Sitzung, in welcher ich meine Mandaten nicht nach ihrem aktuellen Befinden frage.

Früh in meiner Karriere lernte ich, dass es neben dem faktischen Wissen auch Komponenten wie Empathie und Demut zu erlernen gibt. Sie sind gleich zu wertende Erfolgsfaktoren für nachhaltige Leistungs-und Teamprogramme.

Der Arbeitsalltag erfolgreicher Menschen ist geprägt von permanenten Terminen, Deadlines, Druck und wenig Zeit. Die auf den ersten Blick simple, aber ernst gemeinte Frage „wie geht es Dir?“ kann jedoch absolut Business-relevant sein.

Viel Erfolg im 2016,